Moto Guzzi Jackal - Hart aber Herzlich

Aus KRADBLATT 11/99

von Bernhard Hübner

Als Naked Bike unter den Cruisern hat Moto Guzzi seinen neuesten Beitrag zum Thema entspanntes Dahingleiten tituliert. Nein, nicht von vollverschalten Luxuscruisern wollen sich die Italiener damit absetzen, sondern vielmehr zum Ausdruck bringen, dass es sich bei der California Jackal um ein „Kassengestell" handelt, ein Motorrad, ausgestattet nur mit dem Allernötigsten. Zurück zu den Wurzeln sozusagen.
Das hat mich sehr interessiert. Also habe ich mal beim Moto Guzzi-Vertragshändler Baumgart & Röber in Eicklingen nachgefragt, ob er seine Jackal mal für ein paar Tage entbehren kann. - Er kann. An einem wunderschönen Spätsommer-Nachmittag nehme ich Platz auf der cruiser-typischen, breiten Sitzbank. Nach zweistündiger Anreise auf einem Motorrad mit einer eher schmalen Sitzbank freue ich mich auf das üppige Sitzmöbel, doch ich werde enttäuscht. Die Bank ist knüppelhart. Ansonsten finde ich einen wohlproportionierten Arbeitsplatz vor. Der Lenker ist recht hoch, doch nicht übermäßig breit, die Kröpfung ist angenehm. Auch die Füße müssen nicht zu weit nach vorne gestreckt werden, wohl ein Verdienst der im Wege stehenden Zylinder. An den Schaltereinheiten gibt es nichts auszusetzen, sie ähneln den guten japanischen Standardeinheiten doch sehr. Da ist nichts mehr mit den bunten, verspielten Knöpfchen Marke Lego. Kupplungs- und Bremshebel liegen gut in der Hand, beide sind nicht einstellbar. Das Cockpit ist auf das Wesentliche reduziert, den Tacho und sechs Kontrollleuchten - that's it.
Mit Unterstützung des vom Lenker aus zu betätigenden Choke springt die Guzzi prompt an. Der 1064 ccm-Vau Zwo schüttelt sich kräftig, man könnte sagen, er lebt - nein, er bebt. Die dazu passende Geräuschkulisse macht deutlich, warum auf einen Drehzahlmesser verzichtet werden kann - die Jackal fährt man nach Gehör. Ich lege den ersten Gang ein - völlig geräuschlos - und fahre an. Nur wenig mehr als Standgas ist nötig, um die Fuhre auf Trab zu bringen, die gewaltige Schwungmasse macht's möglich. Das Fünfganggetriebe verlangt nach exakter Schaltarbeit durch einen kräftigen Stiefel, denn sonst kann es sein, dass man gangmäßig irgendwo im Nichts landet. Unterstützt wird die Schaltarbeit durch eine leichtgängige Kupplung. Als unnötiger Ballast hat sich die Schalt- wippe herausgestellt, denn auf herkömmliche Art lassen sich die Gänge immer noch am besten sortieren.
Zügig geht es auf der Landstraße voran. Seine 75 munteren Pferde schüttelt der V-Twin nur so aus dem Ärmel und macht Überholvorgänge so zu einem reinen Vergnügen. Die Geschwindigkeit pendelt sich bei etwas über 110 km/h ein, da haben die Insekten noch eine faire Chance. Allerdings werde ich das Gefühl nicht los, dass die Tachonadel etwas großzügig anzeigt. Ich staune, dass sich 270 Kilo Metall so bereitwillig durch Kurven dirigieren lassen. Auffällig ist, dass das permanente Schütteln (welches im übrigen weit entfernt ist von feinen, nervtötenden Vibrationen) bei geschlossenem Gasgriff abrupt einer himmlischen Ruhe weicht. Erst ab Tempo 130 verlagern sich die Schwingungen von den Lenkerenden und Fußrasten in Richtung Sitzfläche. Plötzliches Aufreißen des Gasgriffes beantwortet der Motor mit leichtem Verschlucken; vielleicht mangelt es der Einspritzanlage ein wenig an Feinabstimmung.
Bei der Bereifung haben sich die Konstrukteure erfreulich zurückgehalten. Anstelle von überbreiter Show-Bereifung rollt die Guzzi auf schlauchlosen Gummis der Größe 110/90 V18 vorn und 140/80 VB17 hinten. Mehr wäre auch gar nicht möglich, da die Hinterradschwinge auf der Kardanseite nicht mehr Platz bietet.
Man sollte meinen, dass die vordere Bremse mit einer 320 mm-Bremsscheibe ihre liebe Not mit der zu verzögernden Masse hat. Stimmt aber nicht. Freudig überrascht nehme ich zur Kenntnis, dass die Brembo-Vierkolbenzange ihre Aufgabe locker erledigt und dabei nicht einmal nach einem harten Zugriff verlangt. Wenn nötig, bringt sie den Reifen auch mal zum Pfeifen. Die hintere 282 mm-Scheibe kann man sich ruhig für den Notfall aufsparen. Die Sportler unter den Cruisern haben aber immerhin die Möglichkeit, eine zweite Bremsscheibe nachzurüsten.
Der Tank wirkt nicht nur voluminös, sondern seine 19 Liter Inhalt garantieren für einen ausreichenden Aktionsradius. Bei einem Verbrauch von etwa 5,5 Litern bleifreiem Super beträgt die Reichweite über 300 Kilometer. Einen Benzinhahn gibt es nicht, die elektronische Saugrohreinspritzung bedient sich direkt aus dem Vorrat. Der Restbestand von vier Litern Reserve wird von einer Leuchte im Cockpit angezeigt.
Zu Hause angekommen fällt mir auf, dass eigentlich gar keine Sitzbeschwerden aufgetreten sind. So schlecht kann der straff gepolsterte Sitz also nicht sein.
Ich begebe mich auf die Suche nach weiteren Ausstattungsdetails und stelle fest, dass Diebstahlssicherung mittels kombiniertem Zünd-/ Lenkschloss eine ziemlich hakelige Angelegenheit ist. Das Helmschloss ist schnell geortet. Es befindet sich direkt über dem über vier Kugelköpfe kunstvoll umgelenkten Schalthebelmechanismus, hat aber eher einen theoretischen als praktischen Nutzen, denn wer will schon gerne seinen Kopfschutz auf dem Krümmer braten. Kombiniert ist es mit dem Schließmechanismus für die Sitzbank. Darunter vermute ich das Bordwerkzeug, werde aber nicht fündig. Das spricht für Guzzi-Qualität: Kein Bordwerkzeug, drei Jahre Garantie ohne Kilometerbegrenzung und Inspektionsintervalle von 10.000 Kilometern, wo die meisten Hersteller ihre Produkte noch alle 6000 Kilometer in die Werkstatt beordern. Überhaupt geht es sehr bescheiden unter der Sitzbank zu. Mehr als eine Tafel Schokolade (quadratisch, praktisch, nicht mehr als 100 g) findet im Ablagefach über der Batterie wohl kaum Platz. Auch unter den Seitendeckeln finde ich zwar die Sicherungsleiste und jede Menge anderer Elektrik, jedoch kein Werkzeug.
Die Moto Guzzi California Jackal hält, was ihr schlichtes Äußeres verspricht. Untypisch für diese Art Motorrad sind die guten Bremsen, der große Tank sowie der Verzicht auf Luftfilter- oder sonstige Gehäuse, hinter denen sich vielfach rein gar nichts verbirgt.
Eigentlich ist die Jackal viel zu schade, um damit nur mal bei schönem Wetter ums Eck zu cruisen. Die Zutaten wie der bullige Motor, der große Tank, der wartungsfreie Endantrieb oder die überaus bequeme Sitzhaltung machen sie vielmehr zu einem exzellenten Reisebegleiter.
17.500 Mark inklusive Nebenkosten verlangt der Händler für das Naked Bike unter den Cruisern in der schlichten Basisversion. Wem das zu Naked ist, der kann sich seine California Jackal nach eigenen Wünschen individuell zusammenstellen und sich dabei aus einem umfangreichen Zube-hörkatalog des Herstellers bedienen. Nötig ist das allerdings nicht. Jedes weitere Teil halte ich persönlich für puren Luxus, aber die Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden.
Nur ungern gebe ich die Cali Jackal nach einigen Tagen beim Händler zurück, hatte ich mich doch so an die kleinen Unzulänglichkeiten gewöhnt. Mit der Zeit lernt man, die Gänge mit Nachdruck einzulegen, und das Lenkschloss wird im Laufe der Zeit vielleicht noch leichtgängiger. Und ich erfahre, dass die Jackal sehr wohl mit Bordwerkzeug ausgeliefert wird. Übrigens, die anfangs etwas abschreckend wirkende, weil harte Sitzbank der Guzzi gewinnt eindeutig den Vergleich mit dem weicheren japanischen Möbelstück.
Als ich mich mit meinem japanischen Leichtgewicht auf den Heimweg mache, vermisse ich tatsächlich etwas. Der kernige Klang, der mich die ganze Woche begleitet hatte, fehlt mir ebenso wie die heftigen Lebensäußerungen des mittlerweile nicht mehr ganz taufrischen V-Twins. Der Alltag hat mich wieder.